Inside Austria

Inside Austria

Der Podcast über die großen und kleinen Skandale Österreichs

Transkript

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00:00:06: Ein Vormittag im Februar nineteenhundertfünfundvierzig.

00:00:09: Im Mühlviertel bei Linz in Oberösterreich kämpft sich die dreizehnjährige Anna durch den Schnee.

00:00:15: Sie läuft um ihr Leben.

00:00:17: Und das ihrer Familie.

00:00:19: Meine Schwester waren unter Haaren.

00:00:22: Schnell!

00:00:23: Jetzt

00:00:24: kommt das Essen mit den Hunden.

00:00:30: Schnell, sagt sie zu ihrer Schwester, als sie den Hof erreicht.

00:00:34: Jetzt kommt die SS mit den Hunden.

00:00:37: Das erzählt uns Anna Hackel, geborene Langtaler, heute, achtzig Jahre später.

00:00:42: Wir sitzen in ihrem Wohnzimmer,

00:00:44: im selben

00:00:44: Haus, in dem sich diese Ereignisse damals abgespielt

00:00:47: haben.

00:00:48: Für Anna und ihre Familie steht plötzlich alles auf dem Spiel.

00:00:53: Denn auf dem Heu-Boden des Hofs

00:00:55: verstecken sie

00:00:55: zwei entflogene KZ-Heftlinge.

00:00:58: Jetzt ist die SS auf dem Weg zum Bauernhaus, um es zu durchsuchen.

00:01:13: Hundert

00:01:21: der Häftlinge sind zwei Nächte zuvor aus dem Konzentrationslager Mauthausen ausgebrochen.

00:01:27: Seitdem lautet der Stricktebefehl der SS, die Geflüchteten müssen gesucht, gestellt und getötet werden.

00:01:34: Sie zu verstecken und ihnen zu helfen, ist streng

00:01:37: verboten.

00:01:38: Anders Familie,

00:01:39: die Langtalers, tun es trotzdem.

00:01:42: Und jetzt droht alles aufzufliegen.

00:01:44: Panisch eilen Anna und ihre Schwester zum Heubboden, wo die beiden Heftlinge sitzen.

00:01:58: Die Medien bedecken die beiden Männer mit Heu und warten.

00:02:02: Ich bin Antonia Raut vom Standard.

00:02:04: Und ich bin Lucia Heisterkamp vom Spiegel.

00:02:07: In dieser Miniserie von Inside Austria rekonstruieren wir die sogenannte Müllviertlerhasenjagd, eines der schlimmsten Kriegsverbrechen der Nazi-Zeit in Österreich.

00:02:18: Es geht darum, wie Zivilisten zu Mördern boden.

00:02:21: Und um eine Familie, die versucht, das Leben zweier Flüchtlinge zu retten.

00:02:36: Das ist Folge drei.

00:02:38: Schweigen.

00:02:42: Wenige Minuten später.

00:02:43: Die SS und ihre Hunde haben den Hof erreicht.

00:02:46: Sie gehen zum Heuboden.

00:02:48: Dort liegen unter einer dicken Schichtstroh Michael Ribchinsky und Nikolaj Zemkalo, sovietische Kriegsgefangene.

00:02:55: Gemeinsam mit rund vierhundert weiteren Hefklingen sind sie vor zwei Nächten aus dem Konzentrationslager Mauthausen entkommen.

00:03:02: Die meisten der anderen sind in diesem Moment bereits tot.

00:03:06: Erschossen oder erschlagen von der SS oder von ganz gewöhnlichen Bewohnern im Müllviertel.

00:03:12: Aber Michael und Nikolai sind noch immer auf der Flucht.

00:03:16: Gerade erst haben sie Menschen getroffen, die bereit sind, ihnen zu helfen.

00:03:20: Jetzt spüren sie durch die Heulschicht die Hunde der SS.

00:03:24: Ihren heißen Atem in der kalten Winterluft.

00:03:28: Hören sie schnüffeln.

00:03:29: Doch keines der Tiere schlägt an.

00:03:32: Ja, ich sag, es war

00:03:35: und immer ein Reiz.

00:03:39: Bis heute kann sich Anna Hackel nicht erklären, warum die abgerichteten Hunde die beiden Männer nicht bemerkt haben.

00:03:45: Familie Langthaler kann ihr Glück kaum fassen, als die SS-Männer wieder abziehen, so erzählt es Anna heute.

00:03:51: Gleich danach bringen sie Michael und Nikolai vom Heubboden auf den Dachboden.

00:03:56: Dort ist es sicherer, glaubt die Familie.

00:03:59: Doch schon am nächsten Tag stehen wieder SS-Männer vor der Tür.

00:04:04: Sie wollen das Haus erneut durchsuchen.

00:04:07: Aber Annas Mutter und Schwester haben eine Idee.

00:04:13: Kommt doch herein.

00:04:14: Wollt ihr was essen?

00:04:16: Das sind wieder Szenen aus dem Film Hasenjagd von Regisseur Andreas Gruber.

00:04:21: Er hat jahrelang recherchiert und die Ereignisse der Menschenjagd in einen Spielfilm verpackt.

00:04:26: Die Szene zeigt, wie Annas Schwester und die Mutter den Suchtrupp diesmal mit offenen Armen in ihrer Stube empfangen.

00:04:54: Der Regisseur hat sich bei der Szene an Anna Hackels Erinnerung gehalten.

00:05:09: Die Familie Langthaler kennt man in der Gegend für ihren besonders guten Most.

00:05:14: Die Mutter Maria Langthaler serviert den Männern also großzügig von dem süßen Obstwein.

00:05:19: Dazu gibt es Brot, Speck, auch Annas Bruder spielt mit.

00:05:24: Er muss selber ja bei der Jagd mitgehen.

00:05:27: Und er versichert dem Suchtrop jetzt, er habe das Haus der Familie natürlich eh schon durchsucht.

00:05:32: Das lassen sich die Männer nicht zweimal sagen.

00:05:35: Sie nehmen in der warmen Stube Platz und jausnennen, so sagt man in Österreich zu seiner zünftigen Prozeit.

00:05:42: Wenn man sich die Szene heute vorstellt, dann wirkt sie fast ein bisschen skurrier.

00:05:46: Das ganze Haus der Langtalers ist voll mit Männern der SS, vom Volkssturm und der Hitlerjugend.

00:05:51: Sie trinken Most, wärmen sich auf, lang bei belegten Brötchen kräftig zu.

00:05:57: Und am Dachboden drüber harren Nikolaj und Michael aus.

00:06:01: Doch der Plan der Langtalers geht auf.

00:06:03: Nach einigen Getränken und mit vollen Bäuchen ziehen die Müllviertlermänner wieder ab.

00:06:08: Nicht mehr ganz nüchtern und ohne das Haus durchsucht zu haben.

00:06:19: Dieser Besuch fällt auf den Dienstag nach dem Ausbruch.

00:06:22: Vier Tage sind seit der Flucht vergangen.

00:06:25: Die meisten Geflüchteten haben die SS und die Männer aus der Gegend inzwischen gefunden und getötet.

00:06:30: Dass so wenigen Heftlingen die Flucht am Ende gelingt, das hat mehrere Gründe.

00:06:34: Über einige haben wir in der letzten Folge schon gesprochen.

00:06:37: Die Männer sind nach den Wochen oder sogar Monaten im KZ geschwächt und ausgezerrt.

00:06:42: Außerdem ist es draußen bitterkalt.

00:06:45: Sich irgendwo im Wald zu verschanzen und abzuwarten, ist also keine Option für sie.

00:06:49: Schon halb verhungert und bei Minusgraden müssen sie versuchen, an Nahrung und ein geschütztes Versteck zu kommen.

00:06:56: Und da tut sich das nächste Problem auf.

00:06:58: Die Bevölkerung verrät die Flüchtlinge fast ausnahmslos an die SS oder ermordet sie selbst, wenn sie auf Heuböden oder in Stellen auf sie treffen.

00:07:07: Hilfe, wie bei den Langtalers, finden nur ganz wenige.

00:07:11: Der Historiker Matthias Kaltenbrunner sagt, zwei Hoffnungen der Flüchtenden haben sich nicht erfüllt.

00:07:17: Erstens hätten sich manche wohl mehr Unterstützung erwartet.

00:07:20: Mit Untergabe ist in Glauben, in Österreich seien die Menschen auch größter als gegen die Nazis.

00:07:26: Und zweitens dachten viele offenbar, die sowjetischen Truppen seien schon deutlich weiter vorgerückt.

00:07:32: Die hatten sich erhofft, dass sie sich dann relativ schnell zur Roten Armee durchschlagen könnten und fast alle von denen flüchteten Richtung Norden.

00:07:44: Matthias Kaltenbrunner sagt, diese Hoffnung hat sich aber nicht erfüllt.

00:07:48: Es dauert noch bis Anfang Mai, bis die Alliierten die Gegend erreichen.

00:07:52: Und das hat noch etwas zufolge.

00:07:54: Die Langtalers müssen Michael und Nikolai noch wochenlang verstecken, ohne zu wissen, wann der Krieg wirklich enden wird.

00:08:02: Dass der Krieg nicht mehr ewig dauern kann, das ist in Langtalers trotzdem schon klar.

00:08:07: Ihre Mutter, so erzählt es Anna, hört regelmäßig ausländische Radiosender.

00:08:11: Auch damit geht sie ein Risiko ein.

00:08:13: Das Hören von Feindsendern gilt als Straftat.

00:08:16: Aber die Familie weist dadurch, dass die Alliierten schon sehr nah sind.

00:08:20: Trotzdem sind es noch ganze drei Monate, die Michael und Nikolai versteckt am Hof der Langtalers verbringen.

00:08:27: Die ganzen drei Monate haben wir nur.

00:08:35: Trotz der Gefahr entdeckt zu werden, beginnen Michael und Nikolai, den Langtalers bei der Arbeit in der Bauerschaft zur Hand zu gehen.

00:08:52: Einer hilft morgens beim Melken und Ausmisten, der andere abends.

00:08:56: Besonders Michael stellt sich geschickt an.

00:08:59: Einmal gelingt es ihm, eine Kuh zu behandeln, die sich ein Nagel eingetreten hat.

00:09:04: Das verschafft ihm Respekt sogar bei Annas Vater, der ja anfangs eher skeptisch war, was die beiden Flüchtlinge angeht.

00:09:11: Während sein Kollege Nikolaj erschüchtern bleibt, kann sich Michael sogar mit den Langtalers auf Deutsch verständigen.

00:09:18: Und das hat einen interessanten Hintergrund.

00:09:21: Er selbst sagt der Bauersfamilie, er habe Deutsche in der Schule gelernt.

00:09:25: Aber Matthias Kaltenbrunner ist sich sicher, dass es einen anderen Grund hat, warum der sowjetische Kriegsgefangene die Langtaler so gut versteht.

00:09:33: Der hat ja immer so eine Art von Deutsch gesprochen, also eine Art von Ausländerdeutsch und Anfangszeichen.

00:09:39: Und irgendwann habe ich mir dann mal so ein Videointerview angesehen und dachte mir,

00:09:43: der spricht doch jüdisch.

00:09:45: Michael spricht und versteht etwas Deutsch, weil er Jude ist.

00:09:49: In seiner Kindheit hat er jüdisch gelernt.

00:09:51: Da dachte ich mir dann schon, dass das eine ganz wichtige Rolle spielte, weil mein jüdisches und süddeutsch Dilekt, also der muss auch irgendwie diesen Müllviertel-Dilekt dann mehr oder weniger verstanden haben.

00:10:02: Ich glaube, wenn Michael wirklich nur in der Schule etwas Deutsch gelernt hätte, dann wäre ihm das wahrscheinlich nicht wirklich zugute gekommen.

00:10:09: Ehrlich gesagt habe ich nämlich schon ziemlich Schwierigkeiten, als Deutsche diesen oberösterreichischen Dialekt zu verstehen.

00:10:15: Aber weil jedes den österreichischen Dialekten eben recht nah ist, kann Michael sehr gut mit den Langtalers kommunizieren.

00:10:23: Insofern glaube ich schon, dass das wichtig war, aber er hat das bezeichnenderweise nie erwähnt.

00:10:27: Das hat wohl auch damit zu tun, dass Michael auf seiner Flucht ständig verheimlichen musste, dass er Jude ist.

00:10:33: Hätte die SS davon gewusst, dann wäre er im KZ vermutlich sofort ermordet worden.

00:10:38: Juden standen in der rassischen Ideologie der Nazis ganz unten, noch unter den sowjetischen Kriegsgefangenen.

00:10:44: Und es war ja auch in der Sowjetunion nach dem Krieg durch was gefährlich jüdischer Herkunft zu sein.

00:10:50: Also deshalb ist es schon verständlich, dass es nie erwähnt wurde in Österreich.

00:10:59: So viele Jahre seines Lebens in permanente Angst gelebt zu haben, das dürfte Michael zu einem sehr vorsichtigen Menschen gemacht haben.

00:11:06: Denn die Gefahren für ihn und Nikolai enden auch in den Wochen nach der Menschenjagd nicht.

00:11:12: Immer wieder wird es brenzlig für die zwei Männer und für die Familie Langthaler.

00:11:17: Einmal zum Beispiel wird Michael krank.

00:11:19: Allen ist klar, sollte er sterben, dann würde das auch die Familie in große Gefahr bringen.

00:11:25: Denn was tun mit einer Leiche?

00:11:30: Noch heute schüttelt es Anna Hackel bei dem Gedanken richtig.

00:11:34: Sie hätten Michael wohl bei sich im Garten oder in ihrem Waldstück vergraben müssen.

00:11:39: Und für immer mit dem Geheimnisleben, das ein Toter hinter ihrem Haus begraben liegt.

00:11:45: Doch Michael weiß, was zu tun ist.

00:11:47: Er bittet Alas Mutter, um etwas zu schreiben.

00:11:50: Ach, Mutter, bring mir die Zettel und bleist nicht.

00:11:54: Und du in der Apotheke.

00:11:56: Er schreibt für Maria Langtala ein Medikament auf, das sie ihm aus der Apotheke besorgen soll.

00:12:02: Die Mutter setzt sich aufs Rad, fährt in die Ortschaft nach Mauthausen und schaut dann erst auf den Zettel.

00:12:08: Sie erschrickt.

00:12:09: Das kann ich nicht lesen, ne?

00:12:13: Mein Gott, er hat das russisch schon.

00:12:16: Maria Langtala, so erzählt sie es später ihrer Tochter, kann beim besten Willen nicht lesen, was Michael da geschrieben hat.

00:12:23: Wenn es russisch ist, wird der Apotheker sie da nicht sofort verdächtigen.

00:12:28: Aber ihre Angst, dass Michael sterben könnte, ist noch größer.

00:12:32: Also geht sie in die Apotheke und gibt dem Mann dort den Zettel.

00:12:36: Nimm den Zehrfang des Medikament.

00:12:43: Der Apotheker gibt ihr das Medikament, die Mutter zahlt und geht.

00:12:47: Offenbar hat Michael das Medikament nämlich nicht auf Russisch, sondern auf Lateinisch aufgeschrieben.

00:12:53: Was für Maria Langtaler gleich unverständlich aussieht.

00:12:57: Und Michael wird wieder gesund.

00:13:05: Ein anderes Mal wird einer von den Zöhnen der Langtalers an der Front verwundet und kommt für einige Tage nach Hause.

00:13:12: Die Familie entscheidet, ihn nicht in die Versteckaktion einzubeihen.

00:13:16: Dieser Bruder von Anna ist schon verheiratet.

00:13:19: Sie befürchten, wenn sie es ihm erzählen, dann erzählt er es seiner Frau, die erzählt es wiederum ihrer Familie.

00:13:25: und je mehr Mitwisser, umso größer das Risiko.

00:13:28: Doch einmal begegnet dieser Bruder dann Michael Morgens im Stall.

00:13:32: Der ist gerade beim Ausmisten.

00:13:47: Michael lässt die Gabel fallen, rennt zurück in den Stall und versteckt sich hinter der Tür.

00:13:52: Dort melkt Annas Schwester gerade die Kühe.

00:14:04: Sie weiß natürlich über Michael und Nikolai Bescheid.

00:14:07: Ihr Bruder fragt sie, wer der Mann war, der ihm da gerade begegnet ist.

00:14:22: Anas Schwester löst die Situation mit Humor.

00:14:25: Sie hebe sich eben jetzt schon einen Mann auf, dass sie gleich einen hat, wenn der Krieg aus ist.

00:14:30: Auch die Mutter sagt ihrem Sohn bloß, er soll nicht so neugierig sein.

00:14:34: Und der lässt es darauf beruhen.

00:14:36: Solche Situationen gibt es immer wieder.

00:14:39: Gegen Ende des Kriegs verstecken die Langtalers auch noch einen dritten Mann am Dachboden, diesmal jemanden aus der eigenen Familie, den jüngsten Sohn, der mit gerade einmal sechzehn Jahren an die Front geschickt werden soll.

00:14:51: Als eine Nachbarin den Sohn entdeckt, war et Maria Langtalers sie ein.

00:14:55: Vertraut ihr an, dass sie ihren Sohn heimlich am Dachboden untergebracht hat, um sein Leben zu retten.

00:15:01: Von den beiden Geflüchteten aus dem KZ dort, erzählt sie aber nichts.

00:15:06: Kurz vor Kriegsende, als die Alliierten immer weiter vorrücken, werden die Bewohner im Müllviertel dazu genötigt, SS-Angehörige in ihren Häusern zu verstecken.

00:15:16: Daraufhin meldet sich die Nachbarin freiwillig, die Soldaten bei sich aufzunehmen, damit kein SS-Mann zu den Langtalers kommt.

00:15:24: Und rettet so vermutlich allen drei Versteckten das Leben.

00:15:33: Am fünften Mai, nineteenhundertfünfundvierzig, befreien US-amerikanische Soldaten das Konzentrationslager Mauthausen.

00:15:42: Auch in dem Dorf, in dem die Langtalers leben, endet der Krieg.

00:15:53: Anna Hackel erinnert sich noch genau an diese ersten Tage, in denen die Familie ihr Glück kaum fassen kann.

00:15:59: Nikolai und Michael müssen sich nicht mehr verstecken.

00:16:02: Sie können sich endlich frei bewegen.

00:16:05: Am ersten Sonntag nach Kriegsende geht die Familie Langtala mit den beiden in den Ort.

00:16:10: Das ist das erste Foto.

00:16:13: Anna Hackel zeigt uns ein Foto.

00:16:16: Es ist eine Schwarz-Weiß-Aufnahme.

00:16:18: Acht Menschen sind darauf zu sehen.

00:16:20: Es ist eines von diesen altmodischen Familienfotos.

00:16:23: Die Familie ist aufgereiht und schaut in die Kamera.

00:16:26: Vorne sitzen Anna-Hackels Eltern und ihre älteren Schwester.

00:16:31: Hinten stehen ihre beiden Brüder Anna selbst und Nikolaj und Michael.

00:16:37: Für die beiden Geflüchteten ist die Befreiung durch die Amerikaner eine doppelte Erleichterung.

00:16:42: Einerseits weil sie ihre Freiheit wieder haben, aber auch weil die russischen Truppen für sie als ehemalige Gefangene eine Gefahr darstellen.

00:16:51: Denn Soldaten, die in Gefangenschaft geraten, haben in der Sowjetunion den Ruf von Verräter.

00:17:01: Wenn Amerikaner kommen, auch für uns gut.

00:17:08: Für uns nicht gut, wenn Außen kommen.

00:17:12: Weil, wo sich so das ist, nicht gefangen nehmen lassen.

00:17:22: Unser Barroles kämpfen oder sterben, aber nicht in Gefangenschaft.

00:17:32: Aber die Erleichterung hält nur kurz.

00:17:34: Nach Kriegsende wird Österreich ja in vier Besatzungszonen aufgeteilt.

00:17:38: Russische Soldaten haben im Osten das sagen, Französische ganz im Westen, Amerikanische im Norden und Britische im Süden.

00:17:46: Bei den genauen Grenzverläufen gibt es nach den ersten chaotischen Wochen aber noch einmal Änderungen.

00:17:52: Es kam im Juli, dann zu einer Begradigung der Besatzungszonen und dadurch kam das Gebiet nördlich der Donau.

00:17:59: Und Mauthausen ist ja direkt an der Donau, aber auf der nördlichen Seite am nördlichen Ufer.

00:18:03: Das kam dann in die sowjetische Besatzungszone.

00:18:06: Michael und Nikolaj geraten also doch in die Hände des russischen Militärs.

00:18:10: Erstmal wird Michael von den sowjetischen Truppen als Übersetzer beschäftigt.

00:18:15: Parallel beginnen die Sowjets, die Verbrechen in und um Mauthausen aufzuklären.

00:18:19: Auch die sogenannte Müllviertler Hasenjagd.

00:18:22: Als müssen wir uns also vorstellen, die Sowjets kommen jetzt dorthin, wo drei Monate vorher ungefähr fünfhundert ihrer Mitbürger niedergemetzelt worden waren.

00:18:31: Matthias Kaltenbrunner sagt, die Aufarbeitung der Menschenjagd im Müllviertel läuft in mehreren Phasen.

00:18:37: Da gab es mal diese ganz erste Phase mit Selbstmordmann und Lünchjustiz.

00:18:41: Gleich nach der Befreiung durch die Alliierten begehen viele der Täter aus Angst vor Konsequenzen Suizid.

00:18:47: Das sind vor allem führende Nationalsozialisten, aber auch der gemischt Warnhändler, über den wir in der letzten Folge gesprochen haben.

00:18:54: Der Mann, der sieben geflüchtete KZ-Heftlinge in Schwertberger Schossen hat.

00:18:59: Er tötet sich kurz nach der Befreiung.

00:19:01: In anderen Fällen sterben Männer, die angeblich an der Menschenjagd beteiligt waren unter unklaren Umständen.

00:19:07: Vermutlich werden sie von befreiten Zwangsarbeitern aus dem ehemaligen KZ hingerichtet.

00:19:13: Lündjustiz, also.

00:19:15: Genau wissen wir das aber nicht.

00:19:16: Diese Todesfälle gehen nach Kriegsende oft im allgemeinen Chaos der Tage der Befreiung unter.

00:19:22: Dann, als die Soviets die Macht im Mühviertel übernehmen, kommt es zu einer ersten Phase der juristischen Aufarbeitung.

00:19:30: Dann gab es für diejenigen, die in der sowjetischen Besatzungszone blieben, diese sowjetischen Militärtribunale, wo es eben viele Todesurteile gab und drei lange Haftstrafen, die niemand überlebte.

00:19:40: In dieser Phase werden elf Beteiligte an der Menschenjagd zum Tode verurteilt.

00:19:45: Drei müssen in sowjetische Straflager, ins sogenannte Gulag.

00:19:49: Alle sterben dort noch vor Ende der Haft.

00:19:52: Schließlich übernimmt die österreichische Justiz die Aufarbeitung der NS-Verbrechen und eben auch der Mühviertelhasenjagd.

00:19:59: Sogenannte Volksgerichte sollen sich um die Strafverfolgung der Täter kümmern.

00:20:03: Sie stoßen aber auf viele Hürden, sagt Matthias Kaltenwohner.

00:20:06: Es musste natürlich nachgewiesen werden, dass eine Person tatsächlich konkret jemanden ermordet hat.

00:20:13: Das war relativ schwierig, das durch Zeugenaussagen zu machen.

00:20:19: Es gelangen in einigen Fällen.

00:20:20: Es wurden einige Menschen tatsächlich zu langen Haftstrafen verurteilt.

00:20:24: Also einer hat beispielsweise der fünf Menschen erschossen hatte, wurde zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt.

00:20:29: Schwieriger war es, Befehlsausgaben zu verfolgen.

00:20:32: Also so Volkssturmkommandanten beispielsweise, die diese Befehle ausgegeben haben, das war im Nachhinein sehr schwer nachzuweisen, ob die tatsächlich einen Mordbefehl ausgegeben hatten oder nur unter Anführungszeichen den Befehl diese Menschen irgendwie wieder zu ergreifen.

00:20:49: Und da kam es dann tatsächlich zu einigen Freisprüchen.

00:20:52: Und selbst die verhältnismäßig harten Urteile werden oft nicht wirklich vollzogen.

00:20:57: Viele der Täter werden nach wenigen Jahren begnadigt.

00:21:00: Und das Interessante ist, dass das eigentlich in der Nachkriegsgesellschaft fast als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen wurde, diese verurteilten NS-Täter aus dem Gefängnis zu bringen.

00:21:14: Mit Gesamtgesellschaftlich, meinte Historiker Caltenbrunner, dass dazu tatsächlich über Parteigrenzen hinaus zusammengearbeitet wurde.

00:21:22: Ich habe in den Gerichtsakten auch diese ganzen Bittgesuche dann gesehen, Und es waren tatsächlich alle damals im nationaler vertretenen Parteien, nämlich die ÖVP, die SB und sogar die KBÖ, die sind im Müllviertel eigentlich nur durch die Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmach gab.

00:21:38: Also sogar die KBÖ hat sich dort dafür eingesetzt, dass diese Täter sozusagen begnadigt würden und schneller aus der Haft entlassen wurden.

00:21:46: Die KBÖ für unsere deutschen Hörerinnen, das ist die Kommunistische Partei Österreichs.

00:21:52: Warum es damals gesamtgesellschaftlich als wichtig erachtet wurde, verurteilte NST dazu begnadigen, das hat damit zu tun, welchen Blick Österreich in der Nachkriegszeit auf seine Rolle in der NS-Zeit hatte.

00:22:04: Dazu kommen wir gleich.

00:22:06: Die beiden ehemaligen Heftlinge, Michael und Nikolaj, bekommen von dieser Aufarbeitung jedenfalls gar nichts mehr mit.

00:22:13: Sie müssen schon im Sommer in die Sowjetunion zurückkehren.

00:22:17: Noch mit schweren Herzen wurde dann der Abschied

00:22:23: bei

00:22:24: mir sein, eine Familie gewusst.

00:22:28: Den Langtalers fällt der Abschied schwer.

00:22:31: Die Monate mit den beiden Flüchtlingen, die gemeinsam durchgestandene Angst, die Erleichterung nach Kriegsende, das hat sie zusammengeschweißt.

00:22:39: Doch vor dem Lebewohl hinterlässt Michael der Familie einen Dokument, das für sie noch einmal wichtig wird.

00:22:44: Dieser Brief soll den Langtalers auch als eine Art Versicherung dienen.

00:22:50: Nach Kriegsende kommt es nämlich auch vor, dass Täter versuchen, die eigenen Verbrechen zu vertuschen, indem sie andere dafür anzeigen.

00:22:57: Ein Bauer aus der Umgebung, der einen Flüchtling versteckt hat, landet deshalb zum Beispiel selbst vor Gericht.

00:23:03: Der wahre Täter wird am Ende zwar doch ausfindig gemacht, aber damit der Familie Langtala so etwas nicht passiert, schreibt Michael auf, wie die Familie ihm das Leben gerettet hat.

00:23:14: Und dann kam der Abschied und wir werden uns hören.

00:23:23: Dann heißt es warten.

00:23:25: Jahre lang.

00:23:27: Es sind Jahre, in denen sich Österreich seiner Rolle in der NS-Zeit stellen muss.

00:23:33: Also in der unmittelbaren Nachkriegszeit war ich ein Säugling und ein kleines Kind.

00:23:38: Ihr hört hier unseren Kollegen und Standard-Kolumnisten Hans Rauscher.

00:23:42: Er ist auch Experte für Zeitgeschichte.

00:23:45: und hat heuer seinen achtzigsten Geburtstag gefeiert.

00:23:48: Das heißt, er hat die Nachkriegszeit in Österreich selbst miterlebt.

00:23:52: Ich habe mich damit schon intensiv befasst und unmittelbar nach dem Krieg waren wir Opfer.

00:23:59: Wir waren Opfer.

00:24:01: Die Täter waren die Deutschen und wir waren die Opfer.

00:24:07: Das ist auch einer der Gründe, weshalb die verurteilten Täter der Mühlviertler Hasenjagd möglichst schnell wieder begnadigt werden sollten.

00:24:14: Nach dem Krieg verbreitet sich in Österreich schnell eine Art Opfer-Mythos.

00:24:18: Und diese Erzählung hat auch eine Grundlage, zumindest in Form eines offiziellen Dokuments.

00:24:23: Denn in der sogenannten Moskau-Deklaration der Alliierten, also USA, Großbritannien und Sowjetunion wurde erklärt, dass Österreich das erste freie Land war, dass dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen ist.

00:24:40: Das war der Punkt, dann haben wir glücklich aufgegriffen und haben gesagt, wir waren ein Opfer.

00:24:46: Es ist eine Sichtweise, die die Bevölkerung nur allzu gern übernimmt.

00:24:50: Jetzt in der unmittelbaren Nachkriegszeit gab es keine breite Aufarbeitung.

00:24:56: Da würde ich sogar noch sagen, da waren die Leute so am Boden und so mit dem Überleben beschäftigt, dass zur Selbstbetrachtung wenig übrig geblieben ist.

00:25:11: Politisch beginnt Österreich gerade erst langsam, sich wieder als eigener Staat zu etablieren.

00:25:17: Karl Renner von den Sozialdemokraten bildet die erste Nachkriegsregierung, gemeinsam mit der konservativen Volkspartei und der kommunistischen KPO.

00:25:26: Und der hat inspiriert, wahrscheinlich sogar verfasst, eine Unabhängigkeitserklärung.

00:25:34: Da sind wir auch Opfer.

00:25:37: Da kommen... die Juden überhaupt nicht vor zum Beispiel.

00:25:42: Und das ist nur eine einzige Litanei, wie furchtbar es uns ergangen ist und dass wir nichts schuld haben.

00:25:49: Und diese offizielle Erzählung hält sich einige Jahrzehnte in Österreich.

00:25:54: In den neunzehntvierziger und fünftiger Jahren werden zwar auch einige große Prozesse gegen NS-Kriegsverbrecher geführt.

00:26:00: Allerdings

00:26:01: gehen kleine Lichter.

00:26:02: Das wurden fünfzig ungefähr fünfzig Todesurteile ausgesprochen und davon dreißig exekutiert.

00:26:09: Unser Kollege Hans Rauscher sagt, viele einflussreiche Nationalsozialisten landen in Österreich nie vor Gericht.

00:26:16: Direkt nach Kriegsende gibt es aber zumindest einige kleinere Strafmaßnahmen für die, die besonders überzeugte Nationalsozialisten waren.

00:26:24: Menschen, die schon vor, also Hitler's Machtübernahme in Österreich, Mitglied der NSDAP waren, die verlieren ihr Wahlrecht.

00:26:33: Allerdings nicht für besonders lange Zeit.

00:26:42: Damit sind die ehemaligen Nazis für die Großparteien SPÖ und ÖVP plötzlich vor allem eins.

00:26:48: Eine wichtige neue Wählergruppe.

00:27:01: Und es entsteht auch eine neue Partei, der sogenannte Verband der Unabhängigen.

00:27:07: hat elf Komma sieben Prozent bekommen.

00:27:16: Also nicht ganz so wenig.

00:27:19: Dieser VDU ist übrigens die Vorgängerpartei der rechtspopulistischen FPÖ.

00:27:24: In unserer Inside Austria-Reihe über Jörg Heider sprechen wir ausführlich über die Entstehungsgeschichte.

00:27:30: Packen wir euch in die Shownauts.

00:27:32: Dass dieser VDU von Anfang an ziemlich erfolgreich bei Wahlen abschneidet, zeigt schon, die gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung der NS-Zeit in Österreich lief eher schleppend.

00:27:42: Kurz nach dem Krieg bekommen viele ehemalige Nazis auch ein Berufsverbot.

00:27:46: Aber auch das hält nicht lange.

00:27:48: Bald dürfen sie ihre normalen Berufe wieder ausüben.

00:27:51: Juristen, die für den NS-Staat gearbeitet haben.

00:27:54: Ärzte, die an der Tötungsmaschinerie beteiligt waren.

00:27:58: Professoren und Lehrer, die die Ideologie der Nazis verbreitet haben.

00:28:02: Das wirkt sich natürlich auf den Unterricht aus.

00:28:04: In Deutschland ist es übrigens ganz ähnlich gelaufen.

00:28:07: Aber es gab auch Ausnahmen.

00:28:10: Hans Rauscher erzählt, er hat in der Schule richtig viel gelernt über die Rolle Österreichs im Nationalsozialismus.

00:28:16: Und zwar ungeschön.

00:28:17: Weil unser Klassenvorstand im Gymnasium ein Mitglied des katholischen Widerstand war.

00:28:24: Dieser Lehrer hat einen einer der wenigen Demonstrationen gegen die Nationalsozialisten in Österreich teilgenommen.

00:28:30: Junge Katholiken gehen im Oktober, und nach einem Gottesdienst im Wiener Steffansdom spontan auf die Straße.

00:28:38: Danach sind also Tausende auf den Stephans Platz geströmt und haben gerufen, Jesus ist unser Führer.

00:28:44: Daraufhin gab es am selben oder am nächsten Tag ein Sturm auf das Erzbischöfliche Palä, da hat die S.A.

00:28:51: Brist aus dem Fenster geworfen und mein späterer Klassenvorstand wurde verhaftet und ist zuerst nach Dachau und dann nach Mauthausen gekommen und ist fast dort gestorben.

00:29:04: Dieser Lehrer erzählt seinen Schülern deshalb viel und ausführlich darüber, welche Verbrechen die Nationalsozialisten begangen haben und welche Rolle die Bevölkerung in Österreich dabei gespielt hat.

00:29:15: Aber das ist die Ausnahme.

00:29:17: Jahrzehnte lang sparen Millionen Österreicherinnen und Österreicher die Kriegsjahre, so gut es geht aus.

00:29:23: Doch dann gibt es gleich zwei historische Ereignisse, bei denen das Land von seiner NS-Vergangenheit eingeholt wird.

00:29:29: Genau genommen sind es zwei Politiker, die sich für ihre Rolle im Krieg verantworten müssen.

00:29:34: Der erste ist Anfang der Neunzehnhundersiebzigerjahre der FPÖ-Mann Friedrich Peter.

00:29:39: Friedrich Peter war selbst Mitglied der Waffenesess.

00:29:43: Peters Einheit hat im Zweiten Weltkrieg massen Erschießungen durchgeführt.

00:29:47: Vermutlich war Peter selbst sogar daran beteiligt.

00:29:50: Diese Verstrickungen werden neunzehnhundertfünfundsiebzig öffentlich gemacht.

00:29:54: Durch den Publizisten Simon Wiesental.

00:29:57: Das löst in Österreich eine erste breitere Debatte über die eigene Mittäterschaft in der NS-Zeit aus.

00:30:02: Am Ende muss Peter zurücktreten.

00:30:04: Es gab seine erste Diskussionswelle.

00:30:08: Die zweite kam dann eigentlich zehn Jahre später mit der Kandidatur von Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten.

00:30:17: Kurt Waldheim war zuvor UNO-Generalsekretär.

00:30:20: Die konservative Volkspartei lässt ihn, in den letzten Jahren, als Kandidat für den österreichischen Bundespräsidenten aufstellen.

00:30:27: Und im Zuge der Wahl kommt dann seine Vergangenheit bei der Wehrmacht ans Licht.

00:30:32: Im Unterschied zu Friedrich Peter stand Waldheim nicht im begründeten Verdacht, an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein.

00:30:42: Er hat nur alles gewusst und er hat dieses Wissen verschwiegen.

00:30:47: Waldheim war am Balkanassistenz des Geheimdienstchefs der sogenannten Heeresgruppe E.

00:30:52: Also über seinen Schreibtisch ging alles, was die sogenannte Partisanernbekämpfung und sogenannte Sühne-Maßnahmen und so weiter betroffen hat.

00:31:02: Also er wusste alles, er wusste über Schießungen vollkommen bescheid.

00:31:07: Das hat er aber in seinen Memoen und auch sonst unterschlagen.

00:31:12: und Als das dann aufgeflogen ist, während des Wahlkampfes zur Bundespräsidentschaft, hat er dir unsterblichen Worte gesagt.

00:31:22: Im Jahr

00:31:22: vierzig war ich bei der Deutschen Wehrmacht eingerückt, als Soldat wie hunderttausende Österreicher auch ihre Pflicht erfüllt haben.

00:31:29: Das möchte ich euch nicht feststellen.

00:31:33: Nur seine Pflicht getan.

00:31:35: So sieht Waldheim also seine Beteiligung an den Verbrechen.

00:31:39: Aber er hat die Wahl gewonnen aufgrund einer, wie soll ich sagen, einer jetzt erst recht Reaktion.

00:31:46: Aber die Debatte, die da eingesetzt hat, war wirklich erstmals eine breite Debatte.

00:31:54: Das ist tief hineingegangen.

00:31:56: Die sogenannte Waldheimer Fähre geht in die österreichische Geschichte ein.

00:32:02: Nach Jahrzehnten der Erzählung von Österreich als erstem Opfer der Nazis gibt es plötzlich eine echte Diskussion über die Schuldfrage.

00:32:10: Erstmals wird ein Opfermythos in einer breiten öffentlichen Debatte hinterfragt.

00:32:16: Und trotzdem dauert es noch weitere acht Jahre, bis das Kriegsverbrechen der Menschenjagd im Höhviertel Teil des kollektiven Bewusstseins wird.

00:32:27: Während Österreich seine Rolle im Krieg verdrängt, verdreht und dann doch wieder von ihr eingeholt wird, wartet die Familie Langthaler auf Nachricht aus der Sowjetunion.

00:32:37: Monate.

00:32:38: Jahre.

00:32:40: Oft sitzen Anna, ihre Eltern, die Geschwister im Wohnzimmer zusammen und rätseln, was wohl aus Michael und Nikolaj geworden ist.

00:32:54: Die Langtalas

00:32:55: wissen, viele Kriegsgefangene

00:32:57: aus der Sowjetunion dürfen nach Kriegsende nicht gleich nach Hause.

00:33:00: Manche landen sogar in sowjetischen Arbeitslagern, weil die Führung sie für Spione hält.

00:33:06: Die Langtalas befürchten, dass auch ihre beiden Freunde in Sibirien oder Gott weiß, wo gelandet sein könnten, womöglich gar nicht mehr am Leben sind.

00:33:16: Durch einen reinen Zufall haben wir wieder zusammengegangen.

00:33:24: Und so ist ein Zettel mal Gedenkstein

00:33:30: gemacht worden.

00:33:32: Fast zwanzig Jahre nach Kriegsende holt die Geschichte die Familie wieder ein.

00:33:37: In Mauthausen wird ein Gedenkstein für die Opfer der sogenannten Mühlviertler Hasenjagd aufgestellt.

00:33:43: Und es ist ausgerechnet der Betrieb, in dem einer der Langtalersöhne arbeitet, der den Stein herstellt.

00:33:49: So bekommt der Sohn mit, wie ein Vertreter der sowjetischen Regierung nach Mauthausen reist.

00:33:54: Zum Gedenken an die fürchterlichen Ereignisse der Menschenjagd.

00:33:59: Und er erzählt dem Regierungsvertreter von der Rettungsaktion seiner Familie.

00:34:04: Übergibt ihm den Brief, den Michael damals hinterlassen hat.

00:34:10: Der sowjetische Vertreter ist offenbar bewegt von der Geschichte der Rettungsaktion.

00:34:15: Er will den Langtalers helfen, etwas über das Schicksal der beiden Geflüchteten herauszufinden.

00:34:21: Kurze Zeit später veröffentlicht ein russischer Journalist ein Bericht über die Familie in einer sowjetischen Zeitung.

00:34:53: dauert es nicht lang, bis die Langtalers Besuch bekommen.

00:34:57: Und zwar, haben wir dann im Februar ... ... haben wir dann einen Staatsbesuch bekommen.

00:35:10: Staatsbesuch, der Botschafter der Sowjetunion, kommt auf den Bauernhof der Langtalers.

00:35:15: Klettert sogar auf den Heuboden, wo die beiden Flüchtlinge sich versteckt haben.

00:35:19: Und dann dürfen auch Nikolai und Michael die Langtalers endlich besuchen.

00:35:23: Neunzehn Jahre später.

00:35:41: Ihre Mutter kauft den Besuchern Ketten mit Kreuzen,

00:35:44: so erinnert

00:35:44: sich Anna.

00:35:46: Es ist der Beginn einer engen Freundschaft.

00:35:49: Immer wieder kommen die Männer nach Schwertberg zu den Langtalers.

00:35:52: Umgekehrt reisen

00:35:53: die zu ihnen

00:35:54: in die Sowjetunion.

00:36:05: Die sowjetischen Behörden sind bei den Besuchen genau darauf bedacht, dass immer nur einzelne Familienmitglieder nach Österreich reisen.

00:36:12: Nie alle auf einmal.

00:36:14: Sonst fürchtet die Führung offenbar, dass ihre Bürger in Österreich bleiben könnten.

00:36:19: Und auch die Treffen, die zu Stande kommen, finden meist unter Aufsicht statt.

00:36:24: Sowjetische offizielle Dolmetscher sind dann dabei.

00:36:27: So kommt es auch, dass Anna Hackl und ihre Familie nie wirklich erfahren, was in den rund zwanzig Jahren passiert ist, in denen sie nichts von Michael und Nikolaj gehört haben.

00:36:36: Obwohl es eine schöne Freundschaft ist, die die beiden Männer mit den Langteilers pflegen, sie haben ihr Leben lang mit den Folgen des Kriegs zu kämpfen.

00:36:44: Als Michael in seiner Heimat zurückkehrt, erfährt er, dass seine Familie im Holocaust ermordet wurde, weil sie Juden sind.

00:36:52: Wie es den anderen Überlebenden der Menschenjagd ergangen ist, das hat Historiker Carlton Brunner versucht zu rekonstruieren.

00:36:59: Einige hatten tatsächlich so sehr tragische, persönliche Schicksalsschläge dann zu verarbeiten.

00:37:06: Carlton Brunner geht davon aus, dass mindestens elf Menschen den Ausbruch überlebt haben.

00:37:12: Womöglich sind es auch noch mehr und sie haben vielleicht einfach nie mehr darüber gesprochen oder sich nicht als geflüchtete KZ-Heftlinge zu erkennen gegeben.

00:37:19: Bei der Rekonstruktion der Geschichten hat Kaltenbrunner vor allem auf den Recherchen einer ukrainischen Journalistin aufgebaut, die die Schicksale der Überlebenden der sogenannten Hasenjagd sehr präzise aufgearbeitet hat.

00:37:31: Die meisten von ihnen haben Angehörige verloren, können nicht in ihr Leben von vor dem Krieg zurückkehren.

00:37:37: Bei einem ist der Sohn gestorben in der Evakuierung und seine Frau war bereits wieder mit jemand anderem verheiratet, weil sie eben dachte, er sei tot.

00:37:43: Der hat dann eine zweite Familie gegründet, hatte aber größte psychische Probleme und war auch schwerer Alkoholiker.

00:37:49: Alkoholismus ist natürlich ein Thema, ich bin da sehr vorsichtig, weil das sehr stark diesen Stereotypen bedient, das russischen Alkoholikers, aber das war eben die Realität.

00:37:59: Auch Nikolaj wird alkoholabhängig, kämpft sein Leben lang mit seinem Trauma.

00:38:03: Und dennoch.

00:38:04: Die meisten haben es schon geschafft, sozusagen ein so durchschnittlich sowjetisches Leben aufzubauen.

00:38:10: Also alle haben auch Familien gegründet.

00:38:12: Einige von denen sind erstaunlich alt geworden.

00:38:14: Also mehrere wurden über achtzig, einer wurde sogar über neunzig.

00:38:18: Was schon bemerkenswert ist, besonder Lebensgeschichte einfach.

00:38:21: Auch Nikolai und Michael werden sehr alt.

00:38:24: Nikolai stirbt zwei tausend zwei mit fast achtzig Jahren.

00:38:27: Michael, zwei tausend acht mit über neunzig.

00:38:30: Beide verbringen ihren Lebensabend in ihrer Heimat.

00:38:34: Dass vor allem die Geschichte ihrer Rettung heute so bekannt ist, das sieht der Historiker Kaltenbrunner nicht nur positiv.

00:38:41: Diese Geschichte zu berühren und beeindruckend ist, hat natürlich das Potenzial, die anderen Geschichten in den Hintergrund zu drängen.

00:38:47: Auf zwei Ebenen, also da werden einerseits die Tätergeschichten in den Hintergrund gedrängt.

00:38:52: Also es ist mittlerweile fast so, dass man das in der medialen Berichterstattung fast gleichsetzen kann.

00:38:56: Also die Müllviertler Hasenjagd ist die Geschichte für die Familie Langtaler.

00:39:00: Und dadurch gerät auf jeden Vergessenheit, dass das eben die absolute Ausnahme war und dass sich eben neunundneunzig Prozent der Bevölkerung nicht zu verhalten hat.

00:39:09: Das Erinnern ist ein Drahtseilakt.

00:39:11: Und bis in die Neunzigerjahre wird diese Menschenjagd in Österreich sowieso kaum öffentlich aufgearbeitet.

00:39:18: Auch im Mühlviertel selbst wird wenig über die Geschehnisse gesprochen.

00:39:22: Mitte der Neunzigerjahre ändert sich das dann aber.

00:39:24: Ganz im konkreten Fall war es sicher so, dass der Film von Andreas Grober, der in der Neunzigerjahre in der Neunzigerjahre in der Neunzigerjahre in der Neunzigerjahre in der Neunzigerjahre in der Neunzigerjahre in der Neunzigerjahre in der Neunzigerjahre in der Neunzigerjahre in der Neunzigerjahre in der Neunzigerjahre in der Neunzigerjahre in der Neunzigerjahre in der Neunzigerjahre in der

00:39:36: Neunz.

00:39:36: Wir haben in den letzten Folgen ja immer wieder Szenen aus diesem Film eingespielt.

00:39:40: Der Regisseur Andreas Gruber hat dafür jahrelang recherchiert.

00:39:44: Auch die Familie Langtala, die beiden Überlebenden und ihre Familien haben daran mitgewirkt.

00:39:49: Michael reiste für die Dreharbeiten sogar extra nach Österreich.

00:39:53: In der nächsten Folge von Inside Austria hört ja ein Interview mit dem Regisseur.

00:39:57: Deshalb gehen wir an dieser Stelle nur ganz kurz auf den

00:40:03: Film ein.

00:40:06: und vielleicht hat das auch etwas mit dem prägnanten Untertitel des Films zu tun.

00:40:10: Der lautet nämlich, vor lauter Feigheit gibt es kein Abarmen.

00:40:14: Genau dieser Satz trifft in den neunziger Jahren ein Gefühl in Österreich.

00:40:19: Historiker Kaltenbrunner glaubt, der Film ist auch deshalb so erfolgreich, weil er mehr erzählt als nur die Geschichte des Ausbruchs und der Jagd.

00:40:27: Die Ereignisse der Müllviertler Hasenjagd können wir, glaube ich, so als Mikrogeschichte sehen auch dieser Aufarbeitung in Österreich bzw.

00:40:36: diese sich veränderten Gedächtnisse.

00:40:38: Inzwischen hat sich das Gedenken an die NS-Zeit in Österreich stark gewandelt.

00:40:42: Es gibt ein öffentliches Bewusstsein für die eigene Mitschuld.

00:40:46: Der Film Hasenjagd gehört im Geschichtsunterricht in vielen Schulen quasi einfach zum Stoff.

00:40:51: Viele Klassen besuchen zumindest in der Oberstufe die KZ-Gedenkstätte Mauthausen.

00:40:56: Das habe ich ja auch selbst erlebt.

00:40:57: Und dennoch.

00:40:59: Gerade bei Menschen aus älteren Generationen sind die österreichischen Kriegsverbrechen teilweise noch immer ein Tabuthema.

00:41:06: Das erlebt auch Ferdinand Zachhuber von der Gedenkstätte Mauthausen.

00:41:10: Ihr habt ihn in der ersten Folge gehört.

00:41:12: Die einen wollen einfach gar nicht über die Verbrechen in der Nazizeit reden.

00:41:16: Andere gehen auf Abwehr.

00:41:17: Was Ferdinand bei seinen Rundgängen zum Beispiel immer wieder erlebt, wenn er von der Menschenjagd im Müllviertel erzählt, Das Besucher behaupten, die lokale Bevölkerung hätte damals ja gar nicht anders gekonnt, als mitzumachen.

00:41:29: Wir

00:41:29: haben öffentliche

00:41:29: Rundgänge und es ist toll.

00:41:32: Wir

00:41:32: haben immer super, wenn die Leute sich dafür interessieren, aber was dort teilweise versorgen kann, wenn das auch sparen wird.

00:41:36: Und das

00:41:37: ist bis heute, das versuchen wir eh immer zu dekonstruieren natürlich auch diese

00:41:41: Erzählung.

00:41:42: Aber es ist absolut, aber es tut sich schon was

00:41:45: in Richtung

00:41:46: natürlich.

00:41:46: Also

00:41:47: je länger das aus ist, desto mehr Distanz gewinnen wir auch.

00:41:49: Und dann

00:41:50: zeigt uns Ferdinand noch etwas in der Gedenkstätte.

00:41:53: Immer wieder sind da Schmierereien an den Wänden.

00:41:56: Rassistische Sprüche, Hakenkreuze.

00:41:59: Wer die Schmierereien hinterlässt, das wissen die Mitarbeiter der Gedenkstätte nicht.

00:42:03: Vielleicht sind es Neonazis, die sich bewusst dafür hier reinschleichen.

00:42:07: Vielleicht sind es auch einfach nur pubertierende Schüler, die sich einen schlechten Scherz erlauben.

00:42:12: Jedenfalls hat die Gedenkstätte entschieden, solche Schmierereien auch sichtbar zu lassen.

00:42:17: Allerdings nur die Kleinen.

00:42:19: Nicht, wenn es sich um NS-Wiederbetätigung im großen Stil handelt.

00:42:23: Und auch das kommt immer wieder vor.

00:42:25: Auch die Zeitzeugin Anna Hackel kennt diese Fälle.

00:42:29: Und sie machen ihr Sorgen.

00:42:31: Obwohl sie schon ninety-vier Jahre alt ist, spricht sie immer noch vor Schulklassen und Gruppen über das, was sie als junges Mädchen erlebt hat.

00:42:39: Denn sie sagt, sie will die junge Generation warnen, damit sich die Geschichte nicht wiederholt.

00:42:49: Und vorsichtig.

00:42:55: Das kann man schnücken.

00:43:00: Sie sollen wachsam sein, weil das kann schnell gehen.

00:43:04: Wir sprechen in diesem Podcast oft über Rechtsextremismus, gefahren für die Demokratie über Machtmissbrauch.

00:43:11: Aber nur selten darüber, was tatsächlich passiert, wenn eine Gesellschaft kippt, wenn Unrecht plötzlich recht wird.

00:43:18: Dann wird bekanntlich Widerstand zur Pflicht, heißt es in dem bekannten Spruch.

00:43:23: Und die Geschichte der Familie Langthaler zeigt, wie Widerstand jeden Menschen betrifft.

00:43:28: Und bei individuellen Entscheidungen anfängt.

00:43:31: Bei Menschen wie Maria Langthaler, die nicht aufhören, kritisch zu hinterfragen und die empathisch bleiben.

00:43:38: Die sogenannte Müllviertler Hasenjagd ist aber auch ein Beispiel dafür, dass viele Menschen lieber Befehlen folgen und anderen schaden, als selbst ein Risiko einzugehen.

00:43:48: Dafür, wie totalitäre Systeme, moralische Grundsätze bei weiten Teilen der Bevölkerung einfach ausschalten können.

00:43:56: Und die Ereignisse zeigen auch, wie in Österreich lange nur unzureichend die eigene Rolle im Nationalsozialismus aufgearbeitet wurde.

00:44:04: Wir gehen aus dieser Recherche trotzdem irgendwie optimistischer raus, als wir erwartet hätten.

00:44:10: Weil wir gesehen haben, wie in Österreich sehr wohl ein Umdenken stattgefunden hat.

00:44:14: Wie Zeitzeuginnen wie Anna Hackel zugehört wird.

00:44:17: gerade auch von jungen Menschen.

00:44:19: Das erzählt uns auch Ferdinand Zachhuber in der Gedenkstätte Mauthausen.

00:44:23: Ich denke zum Schluss auch noch mal an den Freund von meinem Vater, der aus Linz

00:44:27: kam und

00:44:28: kurz vor seinem Tod noch mal begonnen hat, sich mit der Geschichte von Mauthausen und der Verantwortung Österreichs im Zweiten Weltkrieg zu beschäftigen, wie es ihn nicht losgelassen hat.

00:44:39: Ich glaube, ich verstehe ihn jetzt besser.

00:44:42: Danke, Thomas Steininger.

00:44:49: Insight Austria hört ihr auf allen gängigen Podcast-Plattformen auf www.desdundart.at und

00:44:53: auf www.spiegel.de.

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00:45:22: Alle Infos dazu gibt's auf spiegel.de ist

00:45:25: gleich der Standard.

00:45:26: Alle Links und Infos stehen wie immer auch in den Shownotes dieser Folge.

00:45:29: Danke fürs Zuhören und allen, die auch hinter den Kulissen an diesen Podcast mitwirken.

00:45:33: Das waren diesmal vor allem Sven Jäger, Sven Präger, Benjamin Braden und Daniel Retschitzegger.

00:45:39: Und wie immer vielen Dank an Christoph Neuwirt

00:45:41: für die Produktion.

00:45:42: Ich bin Lucy Eisterkamp.

00:45:44: Ich bin Antonia Raut.

00:45:45: Wir sagen Tschüss und Papa.